Experteninterview
"Digitale Gesundheit geht jeden an" – Professor Mark Dominik Alscher im Interview
Im März 2018 wählten die Gründungsmitglieder des Vereins „DG-BW Digitale Gesundheit Baden-Württemberg e.V.“ Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor und Chefarzt in der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, zum Vorsitzenden des Vereinsvorstands. In einem Interview mit Dr. Ariane Pott für die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH gibt er nun erste Einsichten in Visionen und Ziele des Vereins.
Die Begriffe eHealth und Digitale Gesundheit sind in aller Munde. Was verstehen Sie unter dem Begriff Digitale Gesundheit?
Letztendlich werden alle Bereiche des Lebens, des Miteinanders durch den Begriff Digitalisierung erheblich verändert – und das trifft natürlich auch für die Medizin zu. Medizin, Gesundheit und Gesundheitserhaltung haben viel mit Daten zu tun. Wir Mediziner erfassen die verschiedenen Ausprägungen des menschlichen Daseins, sei es den Blutdruck oder die Herzfrequenz über Sensoren, aber auch über die Anamnese beim Arzt, wenn dieser die medizinische Vorgeschichte erhebt. Und das wird heute alles in Form von Daten digitalisiert und gespeichert. Dadurch entsteht natürlich ein immenser Schatz bezüglich der Analysemethoden. Und wir werden erleben, dass durch diese Digitalisierung, durch die Erfassung dieser Daten, die Medizin sich wirklich transformieren wird. Insofern: Digitale Gesundheit ist ein wichtiges Feld, weil wir auch die Chance haben, dadurch die Qualität der Gesundheitserhaltung zu verbessern.
Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher berichtet im Gespräch mit Dr. Ariane Pott, wie der Verein „DG-BW Digitale Gesundheit Baden-Württemberg e.V.“ die Akteure im Land unterstützen will.
© BIOPRO
Welche Verbindung haben Sie als Chefarzt in der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie zur Digitalen Gesundheit?
Das hängt damit zusammen, dass das Thema Digitalisierung hier innerhalb des Krankenhauses, aber auch für mich persönlich, schon immer ein wesentliches Thema ist. Seit sicher schon 15 Jahren engagieren wir uns im Bereich Telemedizin und haben dort viele Projekte. Mittlerweile haben wir im Robert-Bosch-Krankenhaus sogenannte integrierte Versorgungsverträge. Damit betreuen wir bundesweit mittlerweile bis zu 10.000 Patienten telemedizinisch. Ferner ist die Effizienz, die Effektivität, aber auch die Qualität der Versorgung im Krankenhaus an die Digitalisierung gebunden. Wir nutzen Krankenhausinformationssysteme und haben damit das papierlose Krankenhaus. Denn wir erfassen alle Daten digital. Und sehen die vielen Vorteile dadurch. Etwas, was in der Fläche, in der Breite, im gesamten Gesundheitswesen so noch gar nicht umgesetzt ist. Insofern ist das ein Punkt, wo ich seit vielen Jahren persönlich, aber auch mein Träger und mein Umfeld, sehr engagiert sind. Und da erlebt man aber auch immer wieder, gerade bei dem Blick aus der Institution heraus, dass es nicht überall so ist. Und dann hat man den Eindruck, man könnte viel Gutes tun, wenn solche Lösungen in der Fläche angeboten werden.
Welche Aufgaben hat der Verein „DG-BW Digitale Gesundheit Baden-Württemberg e.V.“?
Letztendlich ist es so, dass diese Themen ja weltweit und national wirksam sind. Und es gibt auch vor Ort viele Aktivitäten. Und daher muss man sich natürlich gut überlegen, wo hier der Beitrag eines Vereins „Digitale Gesundheit Baden-Württemberg“ sein kann. Das muss man definieren. Der jetzt gewählte Vorstand wird als Erstes eine Art Klausur machen. Wir werden uns zurückziehen und einfach mal für uns Felder identifizieren. Dass man in diesem Themenfeld noch viel verbessern kann und dass wir noch lang nicht am Ende sind, ist auch klar. Nur macht es wenig Sinn in Bereiche hineinzugehen, wo andere schon ihre Energien darauf fokussieren, sondern man muss die Lücken identifizieren und überlegen, wie in Baden-Württemberg die Gesundheitsversorgung in der Fläche qualitativ gewährleistet bleiben kann, indem die Digitalisierung genutzt wird. Hier gibt es schon Themen auf Landesebene, die angegangen werden müssen.
Welche Themen wären das?
Ich glaube, ein ganz wichtiges Thema ist die intersektorale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sektoren im Gesundheitswesen. Das sind ja nicht nur der stationäre und der ambulante Bereich. Wir haben heute auch die häusliche Pflege und die Pflegeheime. Zudem sehen wir, dass das klassische Modell des Hausarztes, der sich um seine Patienten kümmert, heute auf dem Rückzug ist und wir daher Flächen haben, wo es gar nicht mehr vorhanden ist. Da können digitale Lösungen durch einen verbesserten Austausch von Gesundheitsdaten helfen.
Im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart wird schon seit Jahren Telemedizin betrieben.
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An wen richtet sich dann der Verein DG-BW?
Digitale Gesundheit geht jeden an. Jeder Bürger hat Gesundheitsdaten, wenn er dann zum Patient wird. Und ich glaube, es ist in der heutigen Zeit nicht mehr adäquat nur die Leistungserbringer zu adressieren. Alle müssen mitdenken. Ich glaube zudem, ein Verein ist ein anderes Vehikel, als wenn es staatlich gesteuert wäre, und ein Verein ist nicht am Profit orientiert, was ganz wichtig ist. Wir erleben bei digitalen Themen, dass die Menschen Skepsis haben, wenn sie kommerziellen Einheiten ihre Daten übergeben. Sie wollen eine gewisse Vertraulichkeit im Bereich ihrer Daten haben. Und ein Verein ist Non-Profit-orientiert und hat es daher einfacher. Ferner bietet ein Verein die Möglichkeit der Teilhabe, was auch wichtig ist. Ich glaube, man muss sowas schon auf viele Schultern verteilen. Insofern ist ein Verein eine durchaus attraktive Organisationsform für so ein Thema.
Wie kann der Verein zum Beispiel aktuell laufende Projekte unterstützen?
Indem wir, glaube ich, aus dieser Projektförderung rausgehen. Wir müssen Richtung Regelversorgung gehen, und wir müssen Unterstützung für die Regelversorgung anbieten. Dafür müssen wir auch die Probleme identifizieren und dann wirklich nachhaltig eine Änderung herbeiführen. Ich bin sehr davon überzeugt: Auch ohne den Verein wird man die Digitalisierung der Gesundheitsbranche erleben. Auch ohne Aktivitäten der Landesregierung wird es passieren. Es ist nur die Frage, ob dies in dem Sinne geschieht, den wir uns vorstellen. Man hat hier die Chance Standards zu setzen und auf die Einhaltung von gewissen, für die Menschen wichtigen, Themen zu achten. Deswegen sollte man selber natürlich probieren hier Einfluss zu nehmen. Und deswegen sehe ich es schon als eine wichtige Aufgabe einer Landesregierung sich hier einzubringen, aber auch von einem Verein. Weil es immer besser ist selber solche Themen anzugehen, wie diese beispielsweise kommerziellen Einheiten zu überlassen.
Wie kann aus Ihrer Sicht die Digitalisierung der Gesundheitsbranche in Deutschland nun endlich Fahrt aufnehmen?
Ich glaube, dass wir einfache nutzbare Lösungen brauchen. Man darf es nicht zu kompliziert machen. In dem Moment, wo ich das an einen gewissen Träger binde, zum Beispiel Karten und Lesegeräte, die verteilt werden müssen, bin ich heute nicht mehr in unserer Realität. Die Realität ist doch, dass sich die Menschen Apps herunterladen und die Daten speichern, ausdrucken und damit zum Arzt kommen oder eben mit ihrem Smartphone, auf dem die Daten gespeichert sind. Das heißt, vielleicht müssen sich die Akteure in diesem Feld einfach auch der Realität schneller stellen und schauen, was Stand der Technik ist. Und nicht die Technik von gestern versuchen einzuführen.
Für mich ist das der Alltag, dass die Menschen mit den Daten auf dem Smartphone zu mir kommen. Das heißt, die Möglichkeiten heute werden einfach genutzt, ohne Rücksicht auf Vertraulichkeit. Ein anderes Problem entsteht, wenn ein Patient, beispielsweise mit Bluthochdruck, Blutdruckmessungen mit einer App durchführt, die die Blutdruckmessung aufbereitet. Ich soll nun eine medizinische Entscheidung auf den Daten aufbauen, obwohl ich ja nicht mal weiß, ob die App ein Medizinprodukt ist, denn oft ist sie das ja nicht. Wenn ich auf der einen Seite dem Patienten jetzt sage: „Das mache ich nicht, das ist kein Medizinprodukt.“ Das mache ich auch nur einmal, dann geht der zum nächsten Arzt. Das heißt, da muss die Branche selber die Standards setzen und praktikable Lösungen anbieten, sonst machen es andere. Und dann bekommen wir alle ein Problem.