Teil 2
Experteninterview: Patientensicherheit und Versorgungseffektivität erhöhen
Die einrichtungsübergreifende Elektronische Patientenakte (eEPA) ist eine der großen Herausforderungen für das deutsche Gesundheitswesen. Mit der Expertise „Elektronische Patientenakten – Einrichtungsübergreifende Elektronische Patientenakten als Basis für integrierte patientenzentrierte Behandlungsmanagement-Plattformen“ geben Prof. Dr. Peter Haas von der Fachhochschule Dortmund und die Bertelsmann Stiftung einen Fahrplan für die Einführung der Akte. Im zweiten Teil des Interviews erläutert der Experte unter anderem eine mögliche Finanzierung der eEPA.
Wie würde eine eEPA finanziert werden?
Prof. Dr. Peter Haas von der Fachhochschule Dortmund.
© FH Dortmund
Ich könnte mir vorstellen, dass im Grunde die Kassen ihren Versicherten die Nutzung finanzieren, wie man es auch jetzt mit den Ärzten und deren Aufwendungen für die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) macht. Aber die Kassen sollten den Versicherten nicht auf ein System zwingen können, sondern er sollte aus zugelassenen Produkten auswählen können – vielleicht sogar zuzahlen dürfen für Lösungen, die mehr leisten und für ihn noch mehr Nutzen bringen. Unsere Vision, die wir mit Bertelsmann erarbeitet und abgestimmt haben ist, dass wir ein Produktangebot haben und, dass diese Produkte auf Grund der Rahmenbedingungen einen nachweisbaren Beitrag zur Verbesserung der Versorgung leisten. Das heißt, dass diese Produkte im Kern die gleichen Funktionalitäten und Schnittstellen zur Verfügung stellen müssen – wie zum Beispiel bei Autos, die ja auch im Kern gewisse gleichartige Produktmerkmale haben müssen. Die eEPA-Produkte werden sich aber mit Sicherheit auch in einigen Dingen unterscheiden. Der Patient kann nun die Akte, die seine Kasse anbietet nehmen, oder er kann genauso eine eEPA im freien Wettbewerb, die alle Bedingungen erfüllt, verwenden. Dabei ist es auch möglich, dass jene vielleicht noch Zusatzfunktionalitäten hat und diese kann man dann auch für einen bestimmten Betrag im Monat dazu buchen. Natürlich sind auch strenge Regelungen für den Betrieb solcher Akten notwendig.
Wie würde der Zugang zu der eEPA geregelt werden?
Das Gespräch zwischen Arzt und Patient spielt eine große Rolle. Dank einer eEPA kann der Patient gut vorbereitet in das Gespräch gehen. Hier am Beispiel eines Patienten mit Herzrhythmusstörungen.
© bvmed.de
Das Thema muss man in einem gesellschaftlichen Diskurs fixieren. Wenn man einen chronisch kranken Patienten als Beispiel nimmt, der seine Werte kennt und weiß was sie bedeuten – warum soll dieser seine neusten Laborbefunde, nicht immer zeitnah einsehen und sich so auch gut auf einen Arztbesuch vorbereiten können? Dies sollte er beispielsweise via einem Web-Portal oder einem Mobilgerät können. Ob Patienten Befunde einsehen können, die ihnen noch nicht erläutert wurden, kann man natürlich ethisch diskutieren. Ich glaube man darf da nicht schwarz-weiß sehen. Denn am Ende sollte der Patient gleichberechtigt die eEPA als Instrument nutzen und damit die Informationen auch einsehen können, wie seine Ärzte und andere Heilberufe auch. Dabei muss der Datenschutz mit maximalen Mitteln erfolgen. Aber das ist heute möglich, denn die Skandale die es gab, die sind immer auf Versagen gewisser Strukturen zurückzuführen. Deshalb sagen wir: Es braucht Rahmenbedingungen die zum Beispiel Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Benutzbarkeit auf höchstem Niveau garantieren.
Die Ärzte dagegen sollten Zugang über ihre Primärsysteme (Praxisinformationssystem, Krankenhausinformationssystem usw.) haben und der Patient sollte auch bestimmen, wer welche Informationen sehen kann. Es gibt Studien die belegen, dass Patienten, die ein Interesse daran haben, dass ihnen optimal geholfen wird, gar nicht so viele Informationen verbergen wollen. Natürlich kann es sein, dass jemand sagt, dass der Radiologe es nicht sehen muss, wenn er ebenfalls in einer psychiatrischen Behandlung ist. Aber unterm Strich glaube ich nicht, dass chronisch Kranke, die optimal versorgt werden wollen, so viele verschiedene Rechte vergeben bzw. Informationen verbergen werden. Für mich ist weiter die Patienten-Arzt-Beziehung das Wichtigste und erst recht die gemeinsame Entscheidungsfindung. Die kann aber nur erfolgen, wenn der Patient sich mit seiner Krankheit und seiner individuellen Ausprägung davor beschäftigt hat und auch eben die Informationen hat, die ihm diese Beschäftigung ermöglicht.
Gibt es Vorreiter für eine eEPA im Ausland?
In Europa haben wir Länder wie Schweden und Finnland, die schon immer sehr aktiv in der Gesundheitsinformatik waren. Dort wurden früh nationale Institutionen eingerichtet, die sich um die Krankenhaus-IT gekümmert haben und sodann um nationale eEPA-Infrastrukturen. In Österreich gibt es jetzt die „ELGA“, die elektronische Gesundheitsakte. Dabei gibt es erste Ansätze, dass Dokumente vom Patienten eingesehen werden können. Doch vollständige Implementierungen sind kompliziert, denn auch die „ELGA“, die jetzt eigentlich fertig ist, kann nicht in einem Jahr über alle Institutionen und alle Patienten ausgerollt werden. Viele haben geklagt, dass wir gesagt haben, dass der endgültigen Ausbau für eine deutsche eEPA zehn Jahre dauern würde. Das sei Unsinn, so lange würde es nicht dauern, wurde uns vorgeworfen. Aber man muss ja neben der schrittweisen Ausdifferenzierung auch die Realisierung und den schrittweisen Rollout sehen.
Welchen Herausforderungen muss sich das deutsche Gesundheitswesen noch stellen?
Wir müssen einfach dem digitalen Wandel mehr Rechnung zollen und das betrifft auch das Gesundheitswesen. Vor allen Dingen müssen wir die Chancen sehen. Es geht ja gar nicht darum, zwanghaft einer Technologie nachzulaufen, sondern diese Technologie schafft per se so viele Chancen – zum Beispiel für die Patientensicherheit und Versorgungseffektivität. Es ist eine ethische Verpflichtung, diese Technologie einzusetzen. Und es geht dabei nicht nur um Effektivität und Qualität, sondern auch um die bessere Patientenpartizipation und Patientensouveränität. Wir haben daher als Gesellschaft – ich wiederhole das hier – eine ethische Verpflichtung, diese Dinge sachgerecht und sicher umzusetzen. Denn wir kaufen immer teurere Medizintechnik und können in jedes Molekül des Patienten hineinschauen oder sein Genom analysieren. Aber über ihn selber, über den Menschen in seiner Gesamtheit, weiß der Arzt immer weniger – das darf doch nicht wahr sein!
Lassen Sie uns daher alle gemeinsam an einem konstruktiven Strang ziehen, und die bestehenden und absehbaren Herausforderungen im Gesundheitswesen durch eine nachhaltige, wertschöpfende, digitale, nationale eEPA-Infrastruktur, auf deren Basis ein effektives kooperatives Behandlungsmanagement erfolgen kann, meistern.
Ich bedanke mich für das Gespräch.