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Mit digitalen Anwendungen die Pandemie besser managen

Wie wird der Weg des noch weitgehend analogen deutschen Gesundheitswesens in die Digitalisierung aussehen? Darüber können sich seit Anfang Oktober alle Interessierten in der Online-Veranstaltungsreihe „Digital Health. From an Analog to a Digital World“ im Rahmen der heiINNOVATION Talks informieren. Den Anfang machten Dr. Henrik Matthies vom health innovation hub und Prof. Dr. Oliver Opitz von der Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg (KTBW).

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen eine Lösung parat hat, auch im Gesundheitswesen. Lange schon steht Deutschland in der Kritik, die Digitalisierung des Gesundheitswesens verschlafen zu haben1. Anfang 2020 beschied der von der Deutschen Telekom herausgegebene Digitalisierungsindex eine kleine Verbesserung im Bereich des Gesundheitswesens2. Aktuelle Entwicklungen im Jahr 2020 zeigen, dass die Digitalisierung durch die Patienten gewollt ist und, dass diese auch Lösungen für viele Probleme im Gesundheitssystem bietet3. Wie die Lösungen aussehen können, darüber will die Veranstaltungsreihe „Digital Health. From an Analog to a Digital World“ als heiINNOVATION Talk im Rahmen der STARTUP SCHOOL der Universität Heidelberg besonders junge Wissenschaftler informieren, die sich mit dem Thema Digital Health und Entrepreneurship beschäftigen.

Aufsicht auf einen Arm mir Uhr.
Über eine Smartwatch können sowohl beim Sport als auch in Alltagssituationen Vitalparameter aufgezeichnet und ausgewertet werden. © yellowcat / Pixabay

Unterstützt wird die Veranstaltungsserie durch den hih – health innovation hub des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Daher überrascht es nicht, dass Dr. Henrik Matthies, Managing Direktor des hih, den Anfang in der Veranstaltungsreihe macht. Das zwölfköpfige Expertenteam des hih berät das BMG neutral in allen Fragen rund um die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Matthies machte deutlich: Außerhalb Deutschlands ereignet sich viel, denn die großen internationalen Tech-Konzerne investieren in den Gesundheitssektor. Google, Amazon und Co. beraten bei Gesundheitsthemen, versenden Medikamente, Smartwatches messen schon seit längerem die kardiovaskulären Daten der Nutzer, und in China können Patienten sich in einer Art telemedizinischen Telefonzelle untersuchen lassen. Hier konnte Deutschland bis vor kurzem kaum mithalten 1.

Nationales Gesundheitsportal löst Dr. Google ab

Doch was läuft in Deutschland anders als in anderen Ländern? Das deutsche Gesundheitssystem sei recht kompliziert, würde den Patienten aber auch mit zahlreichen Freiheiten wie der freien Krankenkassen- und Arztwahl ausstatten, erklärt Matthies. Der erste wichtige Schritt in Richtung Digitalisierung sei, dass am 1. Januar 2021 die elektronische Patientenakte (ePA) in Deutschland starte. Mithilfe der ePA können die Beteiligten im Gesundheitssystem über die Telematikinfrastruktur auf die Daten des Patienten zuzugreifen, wenn dieser sie für die Nutzung für den jeweiligen Arzt oder anderen Gesundheitsberuf freigegeben hat.

Als weiteres Beispiel führt Matthies das am 1. September 2020 online gegangene nationale Gesundheitsportal an, an dessen Verwirklichung der hih beteiligt war. Das nationale Gesundheitsportal soll „Dr. Google“ ablösen, denn die meisten Patienten würden vor einem Arztbesuch zunächst die Suchmaschine befragen. Das Portal bietet neutrale und verlässliche Informationen in einfacher Sprache.

Apps können durch den Arzt verschrieben werden

Eine Hand die ein Smartphone hält
In das DiGA-Verzeichnis aufgenommene Apps können nun durch den Arzt verschrieben werden. © Jan Vašek / Pixabay

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) werden mittlerweile von Millionen von Menschen genutzt, doch bis Dezember 2019 waren die DiGAs ins deutsche Gesundheitssystem nicht integriert. Dank des Digitale-Versorgungs-Gesetzes (DVG) ist es nun möglich, dass Patienten Apps auf Rezept erhalten. CE-zertifizierte Anwendungen der Risikoklasse I und IIa bewerben sich im Rahmen des DVG Fast Track beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und werden innerhalb von drei Monaten bewertet. Die DiGAs können im Bereich Diagnose, Rehabilitation, Monitoring, Therapie und Unterstützung angesiedelt sein. Bei einer positiven Bewertung wird die App auf die Liste der Anwendungen gesetzt, die durch die Krankenkassen auf Rezept übernommen werden müssen. Matthies rechnet damit, dass Ende 2020 bereits 20 Anwendungen verschrieben werden können. Dass es großes Interesse seitens der Industrie am deutschen Gesundheitsmarkt mit ca. 73 Mio. Versicherten gibt, zeigte die hih-Veranstaltung “International DiGA Summit“, bei der sich 1.500 Teilnehmer aus 40 Ländern über den Zugang zur Erstattung informierten.

Porträt eines Mannes
Prof. Dr. med. Oliver G. Opitz leitet seit August 2018 die Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg. © KTBW

DiGAs sind auch ein Thema für Prof. Dr. Oliver Opitz, Leiter der Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg, der den zweiten Vortrag der Serie hielt. Opitz betonte die kurze Umsetzungszeit, die vergangen ist, seitdem das DVG und die Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) in Kraft getreten sind. Besonders die schnelle Beurteilung seitens des BfArM in nur drei Monaten sei bemerkenswert. Nach der Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis hat der Anbieter die nächsten zwölf Monate Zeit, um weitere Daten zu erfassen, die den Nutzen der Anwendung belegen. Wichtig für eine Etablierung der DiGA sei ein gutes Evaluationskonzept. Das Konzept muss mit der Registrierung beim BfArM übermittelt werden und damit recht früh im gesamten Prozess vorliegen. Das Evaluationskonzept sei sowohl für die Aufnahme in das Verzeichnis als auch für die späteren Preisverhandlungen von Bedeutung.

Implementierungsprozess ist sehr komplex

Zuvor hatte Opitz bereits auf die Möglichkeiten und Herausforderung der Digitalen Gesundheit aufmerksam gemacht. Das Gesundheitssystem ist, laut Opitz, mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: Fachkräftemangel, demografische Veränderungen der Gesellschaft, die Übertragung der Innovationen in die Erstattung durch die Krankenkassen sowie die aktuelle COVID-19-Pandemie sind nur einige Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Ein besonderes Augenmerk wirft Opitz darauf, dass zahlreiche digitale Innovationen den Patienten nicht erreichen. Das liege unter anderem daran, dass der Implementierungsprozess sehr komplex sei, die Anzahl der Stakeholder durch die Digitalisierung zunehme und bei vielen guten Pilotprojekten die Evaluation zu kurz komme. Besonders Letztere sei die eigentliche Voraussetzung für eine Implementierung ins Gesundheitssystem. Man benötige daher einen Vermittler, der die Ansichten der verschiedenen Beteiligten kennt und versteht, um die Übertragung ins Gesundheitssystem zu beschleunigen. In Baden-Württemberg arbeiten beispielsweise im Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg verschiedene Ministerien gemeinsam mit Unternehmen und Forschungsinstituten daran, dass den Patienten die Innovationen zugutekommen.

Und es gibt auch weitere aktuelle Beispiele für erfolgreiche digitale Lösungen im Gesundheitsbereich. Ein Vorreiter in der Telemedizin ist das baden-württembergische Telemedizin-Pilotprojekt DocDirekt, das im Jahr 2018 startete. Mittlerweile ist die Betreuung via Telemedizin Teil des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) und damit abrechenbar. Während der Corona-Pandemie hat sich die Nutzung der Videosprechstunden zudem weiter erhöht und wird von den Patienten akzeptiert. Dennoch böte die Telemedizin nicht die alleinige Lösung für zum Beispiel den Ärztemangel im ländlichen Raum. Denn telemedizinische Anwendungen würden lediglich den Arzt-Patienten-Kontakt erweitern, aber nicht ersetzen. Einen Ansatz dafür bietet beispielsweise das Projekt AMBIGOAL (Ambulante Integrierte Gesundheitszentren zur Optimierung der ärztlichen Versorgung und Pflege im ländlichen Raum), in dem eine wohnortnahe Betreuung in Gesundheitszentren durch digitale Lösungsansätze unterstützt wird.

Patientenfernüberwachung für Baden-Württemberg

Einen weiteren wichtigen Teil besonders in Zeiten der Corona-Pandemie, stellt laut Opitz die Patientenfernüberwachung (RPM, Remote Patient Monitoring) dar. So könne der Arzt per Fernmonitoring die Parameter, wie zum Beispiel die Körpertemperatur von Corona-Patienten zu Hause in der Quarantäne, einfach überwachen. In den baden-württembergischen Corona-Kliniken und Schwerpunktpraxen könnten die Patientenparameter in Zukunft fernüberwacht und damit eine Überlastung der Krankenhäuser verhindert werden. Die von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg gemeinsam mit der KTBW entwickelte Corona-Karte bietet bereits einen Überblick über die Corona-Test- und Versorgungseinrichtungen und kann als Basis dienen, um das RPM-System schrittweise in Modellregionen Baden-Württembergs zu implementieren.

Quellen:

(1) Studie „#SmartHealthSystems Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich“ https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/november/digitale-gesundheit-deutschland-hinkt-hinterher/

(2) „Digitalisierungsindex Mittelstand 2019/2020 - Der digitale Status Quo im Gesundheitswesen“ https://www.digitalisierungsindex.de/wp-content/uploads/2020/03/techconsult_Telekom_Digitalisierungsindex_2019_20_Gesundheitswesen.pdf

(3) Pressemitteilung Bitkom e.V. „Corona-Pandemie: Zwei Drittel wünschen sich Online-Sprechstunden beim Arzt“ https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Corona-Pandemie-Zwei-Drittel-wuenschen-sich-Online-Sprechstunden-beim-Arzt

Seiten-Adresse: https://www.telemedbw.de/news/mit-digitalen-anwendungen-die-pandemie-besser-managen