Telemedizin hilft Herzinsuffizienz-Patienten
Lange Zeit wurde der Nutzen telemedizinischer Anwendungen in der Kardiologie infrage gestellt. Nun konnte in der Fontane-Studie der Charité erstmals gezeigt werden, dass sich die Gesamtsterblichkeit bei Patienten mit Herzinsuffizienz, die telemedizinisch betreut werden, verringert. Bisher gibt es nur einzelne Krankenkassen und Kliniken, die das Konzept anbieten und betreuen. Kommt das Telemedizinmodell bald in die Regelversorgung?
Chronische Herzinsuffizienz ist die häufigste Ursache für einen stationären Krankenhausaufenthalt in Deutschland. So wurden im Jahr 2016 455.680 Hospitalisierungen registriert. Im Jahr 2015 starben in Deutschland 47.414 Menschen an einer Herzinsuffizienz. Sie ist damit die dritthäufigste Todesursache.1 Bei einer Herzschwäche kann der Herzmuskel die für die Versorgung der Organe erforderliche Menge Blut nicht mehr durch das Herz pumpen. Herzinsuffizienz kann unter anderem durch eine koronare Herzerkrankung (KHK) verursacht sein und zum Beispiel Herzrhythmusstörungen und Atembeschwerden verursachen. Die durch Patienten mit Herzschwäche entstehenden Therapiekosten belaufen sich auf etwa fünf Milliarden Euro im Jahr. 60 Prozent dieser Kosten fallen dabei für stationäre Leistungen an.9 Würde aber früher bemerkt, dass der Herzmuskel seine Arbeit auch in Ruhe bald nicht mehr leisten kann (kardiale Dekompensation), so könnten Todesfälle verhindert, Krankenhausaufenthalte reduziert und die Lebensqualität verbessert werden.
Bundesweite telemedizinische Betreuung
Die körperliche Leistungsfähigkeit ist ein Kriterium für die NYHA-Klassifikation.
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Im September 2017 haben sich daher die Techniker Krankenkasse (TK), das Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) und Philips einen bundesweiten IV-Vertrag (IV: Integrierte Versorgung) zur telemedizinischen Versorgung von Herzinsuffizienzpatienten abgeschlossen.2 Im Projekt „Telemedizin Herz" erhalten Teilnehmer, die auch in Ruhe hohe Beschwerden haben (New York Heart Association Classification (NYHA) IV ), für zehn Monate ein Tablet sowie Geräte, die die Vitalparameter messen, und ein technologiegestütztes Coaching. Die Werte werden einmal am Tag zusammen mit einer Selbsteinschätzung des Patienten an das Telemedizinische Zentrum am RBK in Stuttgart übertragen und durch kardiologisch geschulte Fachkräfte analysiert. „Im Anschluss werden die Patienten zwei Monate telefonisch begleitet, weil wir auch feststellen wollen, ob es einen Unterschied zwischen den beiden Betreuungsformen gibt“, erklärt Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor des RBK. Patienten mit geringeren Beschwerden (NYHA II und III) werden sechs Monate über Telemonitoring betreut und die Werte werden entsprechend übertragen. Im Anschluss werden die Patienten sechs Monate telefonisch begleitet. „Durch das Monitoring möchten wir die Menschen so gut behandeln, dass sie möglichst lange in ambulanter Therapie bleiben können“, sagt Alscher. Das RBK konnte auch schon mit einem ähnlichen Projekt zur chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) Erfahrungen sammeln.3 „Wir haben eine Korrelation zwischen der Verbesserung der Lebensqualität und geringeren Kosten für die Kassen gesehen und das Feedback der Patienten war exzellent“, erklärt Alscher.
In dem durch die AOK Baden-Württemberg unterstützten Projekt „HeiTel: Telemedizinische Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz“ für die Metropolregion Heidelberg (s. „Patienten mit Herzschwäche optimal versorgen“ 4), bei dem die Patienten ihre Daten je nach Bedarf an ein telemedizinisches Zentrum übertragen können, wurden ebenfalls signifikante Verbesserungen im Bereich der Hospitalisierungen gemessen.
Fernüberwachung von Implantaten
Dass tatsächlich ein Nutzen, zum Beispiel eine signifikante Änderung der Lebensqualität, beim Einsatz telemedizinischer Anwendungen nachgewiesen werden konnte, ist jedoch nicht immer der Fall. So zeigt der Abschlussbericht zum Thema „Telemonitoring mithilfe von aktiven kardialen implantierbaren Aggregaten bei ventrikulärer Tachyarrhythmie sowie Herzinsuffizienz“, mit dem der Gemeinsame Bundesausschuss das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt hatte, dass in der Studie weder Vor- noch Nachteile des Telemonitorings nachgewiesen werden konnten. Als Basis für das Gutachten wurden randomisierte Studien mit einer Mindestdauer der Nachbeobachtung von sechs Monaten verwendet. Als Endpunkte setzten die Autoren zum Beispiel die Mortalität und die Hospitalisierung, aber auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität fest. Das IQWiG fügte hinzu, dass viele Daten der einbezogenen Studien unvollständig waren. Es konnte daher kein Nutzen erwiesen werden.5 Eine weitere Studie, die auf der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie im August 2018 von der Universitätsklinik Utrecht vorgestellt wurde, konnte jedoch einen Effekt zeigen. So wurde nachgewiesen, dass bei den Teilnehmern mit Implantaten, die fernüberwacht wurden, etwa ein Viertel weniger Kosten verursacht wurden.6
Geringere Gesamtsterblichkeit bei Herzinsuffizienz
Großansicht: Eine Karte von Deutschland
Altersstandardisierte Sterbeziffer an akutem Myokardinfarkt
(ICD I21) nach Bundesländern (Wohnort) – 2015
© Deutscher Herzbericht 2016 / Deutsche Herzstiftung (Hg.)
Zur großen Freude der Telemedizin-Gemeinde vermeldete auch das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité einen weiteren Erfolg mit der klinischen Studie „Telemedical Interventional Management in Heart Failure II“ (TIM-HF2). Darin wurden im Rahmen des Forschungsprojekts „Gesundheitsregion der Zukunft Nordbrandenburg – Fontane“ vom Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin der Charité zwischen August 2013 und Mai 2017 1.538 Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz untersucht. Davon erhielten 765 Teilnehmer zusätzlich eine telemedizinische Betreuung, 773 nur eine Standard-Betreuung.
Der primäre Endpunkt der Studie, also das erstrangige Ziel, waren die „verlorenen Tage aufgrund ungeplanter kardiovaskulärer Hospitalisierungen oder Tod jeder Ursache“. In der Studie zeigte sich, dass die Telemedizinpatienten signifikant weniger verlorene Tage durch ungeplante kardiovaskuläre Krankenhausaufenthalte oder Tod aufwiesen als die Kontrollgruppe (Telemedizingruppe: 17,8 Tage, Kontrollgruppe: 24,2 Tage). Zudem konnte die Gesamtsterblichkeit verringert werden. So starben bei einem Betreuungszeitraum von einem Jahr von 100 Patienten nur acht, wenn diese telemedizinisch betreut wurden, in der Kontrollgruppe jedoch 11.7 Aufbauen konnte die Fontane-Studie auf dem durch das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderte Projekt „Partnership for the Heart (PfH)“ (Projektlaufzeit 2005 – 2011), in dem unter anderem das RBK als Konsortialpartner vertreten war 8. „Wir hoffen jetzt natürlich, dass die Ergebnisse der Fontane-Studie insgesamt die Telemedizin stärken und in die Regelversorgung bringen“, erklärt Alscher in diesem Zusammenhang in Stuttgart.
Alltagstaugliche Modelle entwickeln
Die Telemedizinpatienten erhielten ein EKG mit Fingerclip zur Messung der Sauerstoffsättigung, ein Blutdruckmessgerät, eine Waage sowie ein Tablet zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes und zur mobilfunkbasierten Übertragung der Werte an das Telemedizinische Zentrum (TMZ) der Charité. Im Unterschied zu den aktuellen Projekten am RBK wurden die Patienten im TMZ der Charité mit einem 24/7-Service durch ärztliches und fachpflegerisches Personal betreut. Die Studie befolgte ein Remote Patient Management Konzept, das ein Telemonitoring, eine Schulung der Patienten mit der Förderung zum selbstbestimmten Handeln (Self-Empowerment) und natürlich eine leitliniengerechte Herzinsuffizienz-Therapie beinhaltet. Prof. Dr. Friedrich Köhler, Studienleiter und Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin betont, dass der persönliche Kontakt und die enge Betreuung viele Patienten offener gegenüber der Technik und der Telemedizin habe werden lassen. Eine nächste wichtige Aufgabe bestehe nun darin, ein Alltagsmodell zu entwickeln, mit dem ein Vielfaches der Patientenzahl der Studie versorgt werden könne.9
Herzinsuffizienzversorgung: Land versus Stadt
Das sekundäre Studienziel war der Nachweis der Gleichwertigkeit eines telemedizinischen Therapiemanagementansatzes bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Komorbiditäten im strukturschwachen ländlichen Raum und in der Metropolregion. Die vorgestellten Ergebnisse wurden sowohl ländlichen Raum als auch in Metropolregionen erzielt. Damit zeigen die Wissenschaftler, dass das Remote Patient Management Konzept die regionalen Versorgungsunterschiede kompensieren kann. Dass dies erforderlich ist, wurde im Deutschen Herzbericht 2017 1 deutlich. So gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bezüglich der Mortalität und auch der Hospitalisierung bei Herzerkrankungen. Auffällig ist, dass besonders die Bundesländer Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern schlecht bei der altersstandardisierten Sterbeziffer bei Herzkrankheiten abschneiden und diese auch eine geringe Versorgungsdichte von Kardiologen und zertifizierten Chest-Pain-Units haben.
Regelversorgung oder Einzelvertrag
Doch wie sehen die Krankenkassen die neuen Erkenntnisse? BARMER und AOK Nordost heben besonders den Nutzen für den ländlichen Raum hervor und sehen die Telemedizin als Teil der hochqualitativen medizinischen Versorgung. Dennoch will die BARMER, laut Vorstandsmitglied Dr. Mani Rafii, die Studienergebnisse nun mit Blick auf ihre Versichertengemeinschaft genau bewerten und dort, wo ein Nutzen klar belegt werden kann, nur einzelvertragliche Vereinbarungen für eine bessere Versorgung treffen.